PORTRAIT | "Ich bin eher der Stachel im Fleisch"
„Komisch, dass Marie-Agnes Strack-Zimmermann ausgerechnet jetzt an Franz Josef Strauß denken muss. Wo sie doch gerade über Olaf Scholz redet. Sie kann sich noch erinnern, wie sie als junge Frau im Bundestagswahlkampf 1980 nach Duisburg gefahren ist, um den Unions-Kanzlerkandidaten live zu erleben.
Ein irrer Auftritt sei das gewesen. Der CSU-Politiker im Arbeiterstadtteil Marxloh vor Zehntausenden Malochern. Die eine Hälfte habe ihm zu Füßen gelegen, die andere Hälfte sei ausgerastet vor Zorn. Und dann diese Wortgewalt, wie der Mann mit Sprache umgehen konnte. ‚Ich habe Strauß nicht gewählt‘, sagt die FDP-Politikern Strack-Zimmermann, ‚aber ich war total fasziniert.‘
Die Sonne scheint an diesem Mittwochvormittag in ihr Wahlkreisbüro in der Düsseldorfer Altstadt. Die Vorsitzende des Bundestagsverteidigungsausschusses hat sich ein paar Stunden freigeschaufelt, sie ist im Moment gefragt wie nie. Wie tickt diese Frau, die in diesen Tagen mit ihren Klartext-Ansagen den Kanzler vor sich her treibt?
Den Scholz möge sie ja eigentlich, sagt Strack-Zimmermann, so als Typ. Weil er nicht so breitbeinig durch die Republik latsche wie etwa ein Sigmar Gabriel. Sie habe gedacht, dass Scholz ein guter Kanzler werden könne. Weil er nicht so aufgeregt sei. Es habe ja keinen Sinn, wenn Leute an der Spitze der Regierung sind, die ständig unter Strom stehen. Einerseits.
Andererseits hat sie vor ein paar Wochen ihren 64. Geburtstag gefeiert. Was bedeutet, dass sie in den Siebzigerjahren politisch sozialisiert wurde. Als die westdeutsche Republik erbittert um die Ostverträge stritt und brillante, meinungsstarke Politiker wie Strauß oder die Sozialdemokraten Willy Brandt und Herbert Wehner die Debatte beherrschten. Echte Typen also.
Wie später Gerhard Schröder. Wenn sie ehrlich sein soll, findet sie auch den gut. Natürlich nicht den peinlichen Putin-Kumpel und Gaslobbyisten, der sein öffentliches Ansehen inzwischen vollständig ruiniert hat. Nein, den Kanzler Schröder mit seinem klaren politischen Kompass. Der für seine Reformpolitik die eigene Karriere opferte und mit seiner Opposition zum Irakkrieg auf der richtigen Seite stand.
Oder den grünen Außenminister Joschka Fischer. Ein Mann mit ‚Arsch in der Hose‘, der sich für seine Position zum Kosovokrieg von der grünen Parteibasis mit einem Farbbeutel bewerfen ließ. Strack-Zimmermann sagt, sie sei unter starken, selbstbewussten Frauen groß geworden. Aber an diesem Vormittag schwärmt sie für starke Männer.
Tja, und dann Olaf Scholz. Den Presseauftritt des Kanzlers hat sie am Dienstagabend mit einem Mitarbeiter im Fernsehen verfolgt. Man kann nicht behaupten, dass Strack-Zimmermann unter Minderwertigkeitskomplexen leiden würde. ‚Ich glaube, ich könnte Ihnen die Rede, die er hätte halten sollen, sofort aufschreiben‘, sagt sie.
Sie hätte gesagt, dass es keine einfachen Antworten gibt. Dass in der Ukraine um das Prinzip der Freiheit gekämpft wird. Scholz hätte das menschliche Leid ansprechen müssen, den schwierigen politischen Abwägungsprozess. Die Leute haben schließlich Angst. Vor dem Krieg, vor Atombomben. Abgeordnete wie Strack-Zimmermann bekommen das jeden Tag mit.
‚Vielleicht hätte Scholz einfach das sagen müssen, was er vermutlich täglich mit seiner Frau bespricht‘, findet sie. So ähnlich wie es Robert Habeck macht, der sich in die Talkshow setzt und den Menschen erklärt, warum er als Grüner fossile Brennstoffe kauft in Ländern, mit denen man lieber nicht so viel zu tun hat. Alles kein Hexenwerk, so eine Rede, meint sie.
Stattdessen? Ein Kanzler-Auftritt, an dem Loriot seine Freude gehabt hätte. Endlose Sätze ohne jeden Inhalt, ein Fall fürs germanistische Seminar, eine verpasste Chance. ‚Es ist definitiv nicht so, dass die Welt macht, was wir machen‘, kommentiert Strack-Zimmermann kurz danach bei Markus Lanz die Rede, ‚denn dann würde sie sehr wenig machen.‘ Harte Worte unter Koalitionspartnern.
Am Tag danach ist sie immer noch ein wenig fassungslos. Dass der Kanzler seine Chance nicht genutzt hat: Er hätte die CDU vor sich hertreiben können, denn die ist für den schlechten Zustand der Bundeswehr mit verantwortlich. Wegen dieser Politik haben die Deutschen jetzt kaum noch Waffen, die sie der Ukraine liefern könnten. Wenn sie denn wollten.
‚Ein starkes Land darf sich nicht vom Acker machen‘, sagt Strack-Zimmermann, ‚das erwarten die Leute, und das erwartet Europa.‘ Wenn sie gefragt wird, warum sie so sehr gegen Scholz austeilt, verweist sie gern auf den Mentalitätsunterschied zwischen Hamburger und Rheinländerin. Dann lachen alle, weil bei ihnen das Kopfkino losgeht.
Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Natürlich genießt Strack-Zimmermann die öffentliche Aufmerksamkeit. Dafür ist ihr Ego groß genug. Es macht ihr Spaß, mit ihren Kurzkommentaren über Twitter die öffentliche Debatte zu beherrschen. Aber das allein ist es nicht, was sie antreibt.
‚Ich mache mir Sorgen um unser Land‘, sagt sie. Nicht davor, dass in Deutschland der Krieg ausbricht. Aber um Europa. Was passiert, wenn der Krieg irgendwann zu Ende ist. Gibt es die Ukraine dann noch? Wer wird irgendwann für den Wiederaufbau aufkommen? Was passiert mit Russland? Zerfällt das riesige Imperium?
Die ‚Zeitenwende‘, die der Kanzler nach dem russischen Einmarsch ausgerufen hat, betrifft nicht nur die deutsche Sicherheitspolitik. Das Leben, wie es die Deutschen in den letzten Jahrzehnten kannten, wird sich verändern, da ist sich Strack-Zimmermann sicher. Mehr als für sie selbst gilt das für ihre drei Kinder und erst recht für die drei Enkelkinder. ‚Die Mega-Jahre sind vorbei‘, sagt sie, ‚da kann man mir erzählen, was man will.‘
Vielen geht sie damit auf den Wecker. Auch in der eigenen Partei. Schwer kalkulierbar, schwer einzubinden, nur auf ihren eigenen Ruf bedacht – eine Ego-Shooterin, so sehen viele sie in der eigenen Partei. Es sei doch kein Zufall, dass Strack-Zimmermann bei der Kabinettsbildung in Berlin nicht zum Zuge gekommen sei, lästern Freidemokraten. Natürlich nur im Anonymen.
Fragt man Strack-Zimmerman, warum sie nicht Verteidigungsministerin geworden ist, antwortet sie ausweichend. Weil die FDP nach keinem der außen- und sicherheitspolitischen Ressorts gegriffen habe. Ein Fehler? Darauf kommt keine Antwort.
Also neuer Versuch. Wäre sie denn gern Ministerin? Strack-Zimmermann hat alle Argumente dagegen parat. Mörder-Job, bei dem man nicht wirklich gewinnen kann. Und das Verteidigungsressort steht nur im Fokus, ‚wenn es knallt, scheppert oder ein rechtsradikales Würstchen um die Ecke kommt‘. Oder ein Admiral in Indien Blödsinn zu Protokoll gibt.
Aber Strack-Zimmermann ist noch nicht fertig. Für das Ministeramt zahle man mit der kompletten Aufgabe seines persönlichen Lebens. Und dann die Kabinettsdisziplin. ‚Wenn ich am Kabinettstisch säße, würde ich leiden‘, sagt sie, ‚denn wenn ich sagen würde, was gesagt werden müsste, würden mich alle böse ansehen und sagen, Strack-Zimmermann, halt jetzt mal die Klappe. Wir wollen in Ruhe regieren.‘
Was soll sie auch sonst sagen? Sie ist nun mal nicht Verteidigungsministerin geworden. Dabei hat sie es ja so schlecht nicht getroffen, als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Bekannt war sie vorher schon, aber seit Kriegsbeginn ist ihre Prominenz durch die Decke gegangen.
Auf der Straße, im Flieger, in der Bahn wird sie nun ständig angesprochen. Meistens freundlich, aber manchmal wird sie auch wüst beschimpft. ‚Sorry‘, sagt sie dann, ‚Sie verwechseln mich.‘
Die schlimmsten Attacken kommen per E-Mail. Sie liest sie nicht. Das ist Sache ihres Büros. Solche Mails sind der Preis, den man für seine Prominenz zahlen muss. Dafür ist man gefragt. Strack-Zimmermann holt ihr Handy raus und öffnet den Kalender. Letzte Woche Donnerstag zum Beispiel, nach ihrem Kurztrip in die Ukraine.
Um sieben Uhr Interview mit dem Deutschlandfunk, danach mit dem WDR. Um acht Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, ein Telefonat mit ‚Politico‘, dann nacheinander Interviews mit der ‚Neuen Osnabrücker Zeitung‘, dem ‚Weserkurier‘, ‚The Pioneer‘, der ARD, mit ‚Focus‘ und der ‚Neuen Westfälischen‘. Und abends schließlich die ‚Tagesschau‘ und die ‚Aktuelle Stunde‘ des WDR. Mehr ging nicht.
Sie ist in der Koalition die Frau für die klaren Ansagen. Wer als Journalist ein knackiges Zitat von ihr haben will, wird innerhalb kürzester Zeit bedient. Bei Twitter folgen ihr fast 100.000 Menschen. Mehr Follower hat aus der FDP-Führungsriege nur Christian Lindner.
‚Ich mache das nicht, um Randale zu machen‘, sagt Strack-Zimmermann, ‚ich bin eher der Stachel im Fleisch.‘ So spontan und authentisch ihre Interventionen in der Öffentlichkeit rüberkommen, so sorgfältig werden sie bei allem Tempo geplant.
Über Twitter gibt es keine Äußerung, die nicht vorher von ihr abgesegnet worden wäre. Und so sind Strack-Zimmermanns Aussagen zwar oft hart und klar, aber sie greift selten daneben. Und sie bemüht sich, in ihren Attacken nicht persönlich zu werden.
Dass sie so prominent sei – das habe weniger mit ihr als Person zu tun als mit dem Thema, ähnlich wie beim SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und der Coronapandemie,
Ein bisschen tiefstapeln – es wirkt wie Selbstschutz, wie Vorbereitung auf den Moment, wenn der Ruhm vorbei ist. Irgendwann wird es so weit sein. Wer hoch fliegt, kann auch tief stürzen. Das hat sie bei vielen Politikerkollegen beobachtet. Die nicht verkraftet haben, dass sie plötzlich keine Rolle mehr spielten. Sie will gewappnet sein, wenn es so weit ist.
Strack-Zimmermann ist erst spät in die Politik gekommen, nach einer langen Karriere als freiberufliche Vertreterin des Nürnberger Jugendbuchverlags Tessloff (‚Was ist was?‘). Die promovierte Publizistin wollte Journalistin werden, aber dann blitzte sie nach dem Studium mit ihren Bewerbungen überall ab. Als die Kinder groß waren, engagierte sie sich für die FDP in der Kommunalpolitik, wurde Erste Bürgermeisterin von Düsseldorf, Stellvertreterin des Oberbürgermeisters. Vor fünf Jahren gelang ihr der Sprung in den Bundestag.
Bei der nächsten Bundestagswahl will sie auf jeden Fall noch einmal antreten, falls sie ihren Parteifreunden bis dahin nicht so sehr auf den Geist gegangen ist, dass sie nicht mehr aufgestellt wird. Einmal hat sie schon eine schwere Niederlage kassiert. Da musste sie auf ihren Posten als stellvertretende Parteivorsitzende verzichten, weil eine Konkurrentin den Platz bekam.
Nach fast drei Stunden streckt ihre Mitarbeiterin den Kopf zur Tür rein. Der WDR wartet, der ‚Tagesspiegel‘ auch, es ist Zeit zu gehen. Strack-Zimmermann steht auf. Ihr Einsatz an der Öffentlichkeitsfront geht weiter.“
Artikel von Konstantin von Hammerstein