Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann

INTERVIEW: "Plötzlich war das Gespenst wieder präsent"

 

SPIEGEL: Frau Strack-Zimmermann, nach der massiven parteiinternen Kritik lässt Thomas Kemmerich seinen Posten im Bundesvorstand ruhen. Sind die Probleme der FDP damit gelöst?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Die FDP hat keine Probleme. Die FDP hatte Probleme mit Herrn Kemmerich, als er sich im Februar mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen. Nachdem er sein Amt wieder niederlegen musste, war für uns das Thema eigentlich erledigt. Durch die Demonstration am vergangenen Wochenende in Gera war das Gespenst plötzlich wieder präsent. Nun will er sich aus dem Vorstand vorerst zurückziehen, sozusagen einrollen. Das unterstütze ich.

SPIEGEL: Er bezeichnet seine Teilnahme an der Demonstration in Gera als Fehler, „weil es den politischen Gegnern meiner Partei jede Möglichkeit bot, die berechtigten Anliegen einer kritischen Prüfung der aktuellen Regierungspolitik in der Coronakrise zu denunzieren und zu diffamieren“. Finden Sie seine Erklärung glaubwürdig?

Strack-Zimmermann: Ob ich das glaubwürdig finde oder nicht, spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass er sich jetzt eine Auszeit nimmt.

SPIEGEL: Er hat Ihnen indirekt vorgeworfen, Sie hätten ihn wegen seiner Teilnahme in Gera der Verfassungsfeindlichkeit bezichtigt.

Strack-Zimmermann: Ich habe ihn gebeten, den Hut zu nehmen. Das fand er gar nicht lustig. Das kann ich übrigens gut verstehen, wer lässt sich so etwas schon gerne sagen.

SPIEGEL: Reicht es denn, wenn Kemmerich sein Amt ruhen lässt? Am vergangenen Sonntag sagten Sie: „Wir als FDP-Bundesvorstand sollten Thomas Kemmerich dazu auffordern, seinen Hut zu nehmen und die FDP zu verlassen.“

Strack-Zimmermann: Entscheidend ist, dass er sein Amt ruhen und uns in Ruhe lässt. Die Kolleginnen und Kollegen wollen ihrer Arbeit nachgehen und nach vorne blicken. Der Kurs ist klar und wurde im Bundesvorstand bestätigt.

SPIEGEL: Im Februar twitterten Sie, „Haltung geht vor Partei“. Was antworten Sie Parteifreunden, die sagen, Sie seien in eigener Sache unterwegs?

Strack-Zimmermann: Ich bin nicht in eigener Sache unterwegs, ich bin in der Sache der Liberalen unterwegs. Die Wahl Kemmerichs durch einen Rechtsradikalen hatte mich zutiefst erschüttert. Das war ein Tabubruch. Und der Aufritt in Gera, vor Corona-Leugnern und Verschwörungsanhängern, war die zweite Erschütterung. 

SPIEGEL: Sie kannten ja Herrn Kemmerich.

Strack-Zimmermann: Ich hatte ihnen vor Jahren als coolen Typen erlebt, der mir damals erzählte, wie er im Kommunalwahlkampf von Extremisten bedrängt wurde. Ich habe mich sehr gefreut, dass wir  im Bundestag Kollegen waren, und dass er nach diesem knappen Ergebnis in den Landtag einzog. Bis zum 5. Februar war eigentlich alles in Ordnung.

SPIEGEL: In der FDP gibt es das Trauma der Jahre bis zum Rauswurf aus dem Bundestag 2013. Damals gingen sich FDP-Spitzenpolitiker öffentlich an. Manche befürchten einen Rückfall in alte Zeiten. Sie nicht?

Strack-Zimmermann:  Ich kann die Sorge mancher Mitglieder verstehen. Wenn Sie mal einen schweren Autounfall hatten, ändern Sie auch Ihr Bremsverhalten. Es gibt ja den schönen Film „Angst essen Seele auf“. Ich kann diese Angst nachvollziehen. Man darf aber nicht vor lauter Angst jeglicher Diskussion aus dem Weg gehen. Die Zeiten ändern sich. Schließlich haben wir heute eine AfD im Bundestag, an der rechtsradikales Gedankengut klebt. Dies ist für uns Parlamentarier eine große Herausforderung.

SPIEGEL: Was heißt das für den Auftritt von Kemmerich in Gera?

Strack-Zimmermann: Dass man genau hinschauen muss, in welchem Umfeld man sich bewegt. Um nicht missverstanden zu werden - auch solche Demonstrationen sind grundrechtlich geschützt. Aber als Liberale darf ich mir auch ein Urteil darüber erlauben, wenn sich ein FDP-Mitglied auf einer Veranstaltung zeigt, in der hörbar und erkennbar Töne von sich gegeben werden, die einem Liberalen nicht gefallen dürfen. Auch das gehört zur Freiheit dazu: sich mit bestimmten Gruppierungen kritisch auseinander zu setzen.

SPIEGEL: Schon in der Flüchtlingskrise war es ein Ziel von Parteichef Lindner, die Kritiker der Kanzlerin für die FDP zu gewinnen. Wie nah darf die FDP in der Coronakrise den sogenannten Wutbürgern sein?

Strack-Zimmermann: Grundsätzlich ist es richtig  zuzuhören, was die Leute bewegt, das kann auch ich nur dringend empfehlen. Menschen haben Sorgen um ihre Gesundheit, ihren Arbeitsplatz, um die Betreuung ihrer Kinder. Deswegen ist es richtig, den Menschen ein sinnvolles Angebot über das schrittweise Lockern der Pandemie-Maßnahmen anzubieten.

SPIEGEL: Und wo ist die Grenze?

Strack-Zimmermann: Jeder Einzelne muss entscheiden, mit welchen Menschen es sich zu reden lohnt. Der politische Diskurs macht nur dann Sinn, wenn man die Chance bekommt, den einen oder anderen zu überzeugen. Deswegen würde ich nie zu einer Pegida-Demonstration gehen, weil man dort sowieso nur niedergebrüllt wird.

SPIEGEL: Sie hatten kürzlich mit der FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg einen Disput in der Frage, ob Flüchtlingskinder von den griechischen Inseln aufgenommen werden sollen. Sie sind dafür. Ist das auch so ein Richtungsstreit in Ihrer Partei?

Strack-Zimmermann: Ich habe das nicht als Streit empfunden und sehe darin auch kein grundsätzliches Problem. Das Thema rund um die Lage der Flüchtlinge wird uns auch als FDP immer wieder beschäftigen. Umso wichtiger ist es, dass wir dazu Position beziehen. Ein Lager auf Lesbos, in dem 20.000 Menschen dahinvegetieren, ist nicht nur ein griechisches, es ist auch ein europäisches Problem. Wir müssen es daher gemeinsam mit den europäischen Partnern lösen. Die Krise 2015 hat Deutschland ja auch gezeigt, dass wir nicht alleine maßgebend sind.

SPIEGEL: Also ist alles gut?

Strack-Zimmermann: Linda Teuteberg und ich haben einen Kompromiss gefunden - das Thema ist damit ad acta gelegt.

SPIEGEL: Wegen Ihrer klaren Positionen in jüngster Zeit werden Sie von FDP-Anhängern in den sozialen Medien als „Vorsitzende der Herzen“ gefeiert. Schmeichelt Ihnen das?

Strack-Zimmermann: Na ja. Ob das jetzt alle FDP-Mitglieder so sehen? Wenn ich ein Statement abgebe, finden das manche toll, andere blöd. Ich weiß, dass ich polarisiere. Und manchmal werden einem auch Blumen entgegengeworfen, wo der Tontopf noch dranhängt. Ich habe zu bestimmten Themen meine Meinung, und ich bin in einem Alter, in dem ich keine Lust mehr habe, Umwege zu gehen. Das Leben ist zu kurz, um nach dem Motto zu handeln: rechts, links, vor, zurück und wieder nach vorne.

SPIEGEL: Was sagen die Komplimente für Ihre Geradlinigkeit über Christian Lindner aus?

Strack-Zimmermann: Dass er der richtige Vorsitzende ist und es nicht so einfach hat wie ich. Christian Lindner kann nicht so unbeschwert sein, er muss diese Partei zusammenhalten, muss die Meinungen abwägen. Das muss ich in der Form nicht. Ich wollte mit ihm nicht tauschen.

SPIEGEL: Das heißt, eine Bundesvorsitzende Strack-Zimmermann, wie es sich manche Liberale wünschen, wird es nicht geben?

Strack-Zimmermann: Ich bin ausgefüllt mit all dem, was ich mache. Ich halte Christian Lindner nach wie vor, auch wenn das in der Öffentlichkeit von manchen anders gesehen wird, für einen guten Vorsitzenden. Wir haben ihm nicht nur die Rückkehr in den Bundestag zu verdanken, ich halte ihn auch intellektuell für den Richtigen. Er hat unumwunden meine Unterstützung.

Interview von Christoph Schult und Severin Weiland