Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann

INTERVIEW | Angriff auf die Nato? „Nichts ist bei Putin unmöglich“

Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Archivbild

Die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, sie sei wütend, gegen Putin nichts Abschreckendes vorbereitet zu haben. Sind Sie auch wütend?

STRACK-ZIMMERMANN Es ist geradezu tragisch, dass seit 2014, seit der Annexion der Krim, die große Koalition mit Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer als Ministerinnen den Ernst der Situation und den Charakter von Wladimir Putin völlig unterschätzt hat. Es ist bitter, aber es ist seit Jahren klar: Bei Putin zählt nicht, was er sagt, sondern was er macht. Frau Kramp-Karrenbauer sollte weniger wütend sein, sie sollte sich vielmehr schämen, dass sie die Situation nicht geändert hat.

Wie erklären Sie sich die Entscheidung Putins zum Krieg gegen die Ukraine?

STRACK-ZIMMERMANN Putin lebt offensichtlich komplett in der sowjetischen Vergangenheit. Der Putin von 2001, der vor dem Bundestag sprach, hat nichts mehr gemeinsam mit dem Putin von heute. Wir müssen davon ausgehen, dass er den Krieg von langer Hand geplant hat. Denn der Truppenaufmarsch läuft bereits seit gut einem Jahr, getarnt als „militärische Übung“. Er hat nur noch die Olympischen Spiele abgewartet, weil er den Chinesische Präsidenten nicht verärgern wollte. Es zeigt seinen Charakter, dass er zur Rechtfertigung des Einmarsches in die Ukraine die militärische Aktion mit dem Eingreifen der Nato im Kosovo vergleicht. Die Nato hat seinerzeit einen Genozid verhindert. Das mit der Situation der Russen in der Ostukraine zu vergleichen, ist perfide.

Was bedeutet der Krieg Russlands für die Nato?

STRACK-ZIMMERMANN Die zur Nato beobachtet nun genau, was Russland an der Grenze zu den Nato-Staaten macht. Dazu werden auch Truppen bewegt werden, um den Schutz sicherstellen zu können.

Wenn Putin mit dem Angriff die Nato-Russland-Grundakte außer Kraft setzte, heißt das jetzt auch, dass die Nato dauerhaft massiv Truppen in Osteuropa stationieren kann?

STRACK-ZIMMERMANN In dem Vertrag sind die Unverletzlichkeit der Grenzen, die territoriale Integrität und die freie Bündniswahl verankert. Die Nato tut gut daran, die Truppen auf dem Gebiet von Mitgliedsländern mit Grenzen zu Russland zu verstärken. Es sieht im Moment nicht danach aus, als würde Putin die Nato direkt angreifen. Aber leider müssen wir heute feststellen: Nichts ist bei Putin unmöglich.

Welche Rolle kommt auf die Bundeswehr zu?

STRACK-ZIMMERMANN Wir haben uns verpflichtet, für die Nato-Speerspitze Leistungen bereitzustellen. Die werden wir möglicherweise bereits jetzt stellen und nicht erst wie geplant 2024. Davon abgesehen muss die verteidigungspolitische Naivität in Deutschland aufhören. Wir müssen umgehend die Bundeswehr so ausstatten, dass wir nicht nur wehrwillig sind sondern auch wehrfähig.

Dazu meint Heeresinspekteur Mais, die Bundeswehr sei „blank“ – ist das auch Ihr Eindruck?

STRACK-ZIMMERMANN Ich begrüßte es, wenn ein General deutliche Worte findet. Der Zeitpunkt mag manche irritieren, ich kann sehr gut verstehen, dass er es so pointiert ausspricht. Wann sonst, wenn nicht jetzt. Es besteht ein riesiges Defizit. Dass das angesichts der russischen Bedrohung einem Heeresinspekteur besonders nah geht, kann ich gut verstehen.

Was bedeutet das für den Bundeshaushalt – umschichten Richtung Verteidigung?

STRACK-ZIMMERMANN Für mich ist klar, dass wir nicht nur mehr Geld für die Verteidigung brauchen, sondern auch eine schnellere und effektivere Beschaffung. Wir können kaufen, was auf dem Markt ist und müssen nicht immer alles neu erfinden. In diesen Tagen dürfte vielen Menschen in Deutschland klar werden, warum wir die Bundeswehr brauchen, und dass wir sie auch optimal ausrüsten müssen. Da haben wir unvorstellbar viel nachzuholen.

Wo besonders?

STRACK-ZIMMERMANN Das betrifft viele Bereiche. Beim Heer alleine fehlt es an allen Ecken und Enden. Nehmen wir das Fehlen des schweren Transporthubschraubers oder die ausstehende Nachfolge für den Tornado-Kampfjet, damit man Deutschland auch aus der Luft verteidigen kann. Für die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten brauchen wir dringend bewaffnete Drohnen. Und auch die Marine wird in Zukunft deutlich mehr Einsätze haben; die Sicherheit der Seewege ist ein wichtiges Thema. Auch die Cyber-Abwehr wird immer wichtiger werden. Wir sehen ja die massiven Angriffe Russlands auf diesem Gebiet.

Braucht die Bundeswehr auch mehr Soldaten?

STRACK-ZIMMERMANN Wir brauchen nicht mehr Soldatinnen und Soldaten. Was wir dringend benötigen, ist mehr und besseres Material, auch damit wir die Soldaten und Soldatinnen besser ausbilden und auf den Einsatz vorbereiten können.

Hätte Deutschland der Ukraine Abwehrwaffen liefern sollen?

STRACK-ZIMMERMANN Es ist auch von Bedeutung. die wirtschaftliche Stabilität der Ukraine in dieser Zeit zu stützen und gemeinsam mit den EU Partner umgehend schwere Sanktionen auf den Weg zu bringen. Wir alle tragen auf jeweils unterschiedliche Weise zur Unterstützung der Ukraine bei.

Interview geführt von Gregor Mayntz