Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann

"FDP-POLITIKERIN ZU THÜRINGEN: „Ich kann es nicht fassen“"

 

Frau Strack-Zimmermann, das Entsetzen darüber, dass sich Ihr Parteifreund Thomas Kemmerich in Thüringen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsident hat wählen lassen, ist allenthalben groß. Bei Ihnen auch?

Ich kann es nicht fassen. Ich habe es in den Nachrichten mitbekommen: Die FDP stellt den Ministerpräsidenten. Mein erster Gedanke war, das ist ja toll! Bis ich kapiert habe,  dass dies nur mit den Stimmen der Höcke-AfD möglich wurde. Das beschämt mich. Ich schätze Thomas Kemmerich sehr, er ist ein toller Kollege. Ich verstehe auch, dass man gerne Ministerpräsident werden will, wenn sich einem die Chance bietet. Aber, dass Demokraten sich von der AfD wählen lassen, und noch dazu von der Fraktion von Björn Höcke: In einen tieferen braunen Abgrund kann man überhaupt nicht schauen.

Mike Mohring von der CDU hat Kemmerich seine Zusammenarbeit angeboten, aber von ihm eine deutliche Abgrenzung von der AfD verlangt. Kann man das: sich abgrenzen, wenn man sich vorher von der AfD hat wählen lassen? 

Björn Höcke ist ein Faschist. Ihm darf man nicht einen Millimeter Raum geben. Es gibt in der Politik eine Grenze. Und wenn wir die nicht ziehen, dann Gnade uns Gott.

Manche spekulieren jetzt, die FDP habe sich von der AfD hereinlegen lassen – und schlicht nicht damit gerechnet, dass die alle Stimmen der FDP gibt. 

Das weiß ich nicht, weil ich die Verhältnisse im Thüringer Landtag nicht gut genug kenne. Aber damit sollte man rechnen. Die AfD nutzt die Verfassung , um letztendlich Chaos zu erzeugen. Und am Ende genau diese Verfassung zu zerstören. Für die Demokratie ist dieser Tag ein Albtraum.

Selbst wenn er wirklich von der AfD überrumpelt wurde, hätte Thomas Kemmerich die Wahl zum Ministerpräsidenten ablehnen können. Aber das wollte er offenbar nicht.

Man hat immer eine Wahl.

Ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki hat nach der Wahl gesagt, was die Verfassung vorsehe, solle man nicht diskreditieren. Hat er damit Recht?

Der Vorgang als solcher, in einem dritten Wahlgang anzutreten, ist von der Verfassung legitimiert. Die Frage ist nicht, ob dieses Vorgehen verfassungskonform ist, sondern, ob man es vor seinem Gewissen verantworten kann, sich von Höcke in den Sattel heben zu lassen. Wie man so etwas relativieren kann, ist mir als Liberale unerklärlich.

Was erwarten Sie jetzt von Ihrem Parteivorsitzenden Christian Lindner? Er fordert Neuwahlen in Thüringen bei einer Blockade im Parlament.

Christian Lindner ist der Vorsitzende unserer Partei, er wird sich jetzt die weiteren Schritte überlegen.

Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen hat Lindner den legendären Satz gesagt, es sei besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren. Fällt dieser Satz der FDP jetzt nicht auf die Füße?

Dieser Satz war damals genau richtig, und er wäre es heute in Erfurt umso mehr gewesen. Thomas Kemmerich hätte sich an ihn halten sollen.

Würden Sie so weit gehen wie der frühere FDP-Innenminister Gerhart Baum, der am Mittwoch gesagt hat, ein Hauch von Weimar wehe durch die Luft?

Solche historischen Vergleiche hinken in der Regel. Aber in der schwierigen Situation, in der wir gerade stecken, müssen wir mit Sicherheit aufpassen, dass nicht plötzlich diejenigen das Sagen haben, die unsere Demokratie und unsere Verfassung aushöhlen und abschaffen wollen. Man kann immer sagen: Es ist ja nur Thüringen, nur ein Landtag. Aber oft ist so etwas der erste kleine Haarriss. Und der reicht dann aus, in der Gesellschaft einen Spalt zu erzeugen.

Interview Oliver Georgi