Afghanistan-Mission: Parlamentarier zeigen der deutschen Verteidigungsministerin die kalte Schulter
„Der Veranstaltung fernbleiben aber wollen die Verteidigungsexperten der Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen, FDP und Union. Der Bilanzierung des bisher grössten Einsatzes in der Geschichte der Parlamentsarmee Bundeswehr wird also ohne die parlamentarischen Fachleute der potenziellen künftigen Regierungsfraktionen stattfinden.
Heftige Kritik aus der FDP
‚Das Vorgehen der Ministerin ist einmal mehr ein kommunikatives Desaster. In ein Machtvakuum hinein beginnt man keine Aufarbeitung eines Einsatzes von der Dimension der Afghanistan-Mission‘, sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann, verteidigungspolitische Sprecherin der FDP im Deutschen Bundestag, der NZZ. Sie kritisiert schon seit Wochen, dass die christlichdemokratische Ministerin die Aufarbeitung in die Zeit legt, wo der alte Bundestag sich auflöst und der neue noch nicht konstituiert ist. Auch halten die Parlamentarier eine Online-Veranstaltung für das falsche Format.
Beobachter vermuten, dass die Ministerin den Zeitpunkt ganz bewusst gewählt hat. Den Wahlkampf kann die Veranstaltung nicht mehr belasten. Gleichzeitig ist es für Kramp-Karrenbauer vielleicht die letzte Möglichkeit, im Amt Tatkraft und die Fähigkeit zur Reflexion unter Beweis zu stellen. Zwar ist eine Jamaica-Koalition von Union, Grünen und FDP derzeit die unwahrscheinlichere Variante, ausgeschlossen ist sie aber nicht. Es ist dabei kein Geheimnis, dass Kramp-Karrenbauer Gefallen an ihrer Aufgabe gefunden hat und sie gerne fortführen würde.
Grüne und Liberale würden die letzten Monate der Amtszeit von Kramp-Karrenbauer und von anderen am Afghanistan-Einsatz beteiligten Ministerien dabei noch viel genauer unter die Lupe nehmen wollen. So fordert Strack-Zimmermann einen Untersuchungsausschuss für die letzten Monate des Einsatzes. ‚Wenn die nächste Kanzlerpartei – egal, ob SPD oder Union – klug ist, trägt sie einen Untersuchungsausschuss mit. Denn es ist im Interesse der neuen Bundesregierung zu verstehen, was in den Ministerien im Zusammenhang mit dem Abzug aus Afghanistan falsch gelaufen ist‘, sagt sie.
Ungemütliche Fragen an SPD und Union
Die dort gestellten Fragen würden indes sowohl für die Union wie für die Sozialdemokraten möglicherweise ungemütlich. So hegt Strack-Zimmermann neben anderen offenen Fragen den Verdacht, dass Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium wertvolle Zeit bei der Evakuierung von Staatsbürgern und Ortskräften aus Kabul verstreichen liessen. Dabei sei ihnen bereits am 6. August – und damit eineinhalb Wochen vor dem Fall Kabuls – ein Bericht der deutschen Botschafterin in Washington zugegangen. Darin sei nach Hinweisen von hochrangigen US-Vertretern vor dem unmittelbaren Kollaps gewarnt worden. Auch sei von entsprechenden Evakuierungsmassnahmen der Amerikaner berichtet worden.
‚Grüne und wir sind uns einig, dass es einen Untersuchungsausschuss braucht. Wenn die Linkspartei den Bedarf auch sieht, dann können wir ihn auf den Weg bringen‘, sagt Strack-Zimmermann. Ob Liberale und Grüne als Regierungsparteien tatsächlich einen Untersuchungsausschuss – eigentlich das schärfste Schwert der Opposition – gegen den künftigen Kanzler und seine Partei würden durchsetzen können und wollen, ist indes fraglich.“
Artikel von Oliver Maksan