Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann

"Kommunalwahl in Düsseldorf: Laut und frei"

„Auf ihrem jüngsten Plakat vergleicht sich Marie-Agnes Strack-Zimmermann mit einem Gorilla: Das Foto schwarz-weiß gehalten, darauf ihr schmales Gesicht im Profil, ein entschlossener Blick, die silberne, dezent nach hinten gegelte Bürstenfrisur. Daneben das Wort ‚Silberrückin‘. ‚Der Silberrücken‘, erklärt Marie-Agnes Strack-Zimmermann, ‚ist ein erwachsener männlicher Gorilla, an dem sich die Familie orientiert. Er gibt nicht nur die Richtung vor, er ist auch Beschützer, Streitschlichter und Kümmerer.‘

Die gegenderte Form Silberrückin für eine FDP-Politikerin wie sie, das wirke ‚so schön kontraintuitiv‘, sagt Strack-Zimmermann. Es stimmt ja auch: Eine zierlich-elegante Frau inszeniert als Gorilla, das bringt sie ins Gespräch. Ältere Damen rufen ihr in der Düsseldorfer Innenstadt ‚tolles Plakat‘ zu und zwinkern dabei solidarisch. 

In zwei Wochen sind Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und die bisherige Bundestagsabgeordnete, Schwerpunkt Verteidigungspolitik, tritt an, um mit 62 Jahren Oberbürgermeisterin der Stadt Düsseldorf werden. Aber die Bewerbung um den Posten ist mehr als eine politische Personalie in dem bevölkerungsreichsten Bundesland: Nach dem unfreiwilligen Abgang von FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg ist Strack-Zimmermann die letzte selbstbewusste und bekannte aktive Bundespolitikerin, die die Liberalen noch haben. Flieht sie aus Berlin, weg vom ungewissen Schicksal des glücklosen Parteivorsitzenden Christian Lindner?

Auf jeden Fall setzt Strack-Zimmermann in diesem Kommunalwahlkampf voll auf ihre Persönlichkeit, auf ihre Bekanntheit und die raubeinig-herzliche Art. Wohl auch, weil von ihrer Partei, der FDP, derzeit nicht so viel Positives zu erwarten ist. 

‚Wie schön wäre das, eine wild wachsende Wiese?‘

Bei einem Spaziergang durch die Landeshauptstadt wird klar, dass sie mit der Kandidatur aber auch zu ihren Wurzeln zurückkehrt. Seit Jahren schon sitzt sie im Düsseldorfer Stadtrat, kann also zu vielen Gebäuden etwas erzählen: hier sanierte Bürgerhäuser aus dem Jahr 1903, dort der moderne preisgekrönte Kö-Bogen des US-Stadtplaners Libeskind und dann ist da noch die Baustelle, wo das große Tourismusunternehmen Alltours ein neues Büro beziehen soll. 

In dunkelblauen Slippers schlendert Strack-Zimmermann an diesem sonnigen Morgen Mitte August über die Rhein-Promenade. Ein Gewitter am Vorabend hat die Schwüle vertrieben, die Spätsommersonne wärmt. Jogger grüßen Strack-Zimmermann, auch ein Kanalarbeiter winkt, ‚Grüße Sie!‘, ruft die Kandidatin.

Am Rheinufer hat ein Gastronom einen Holzbiergarten im Oktoberfest-Stil errichtet. ‚Unfassbar‘, findet Strack-Zimmermann. ‚Das einzige Stück Wiese auf dieser Rheinseite sollte frei von Konsumzwang bleiben - so wie vom Architekten der Rheinuferpromenade gedacht.‘ Sie zeigt auf schmucklos zusammengeklappte Liegestühle am Rheinufer: ‚Wie schön wäre es, in der Stadt generell auch wild wachsende Wiesen zuzulassen und wer essen oder trinken will, der bringt es sich halt mit?‘

Frau Strack-Zimmermann, jetzt klingen Sie aber wie eine Grüne, oder? Die FDP ist doch auch die Partei der Gastronomen, die gerade jetzt, zu Zeiten der Corona-Krise, besonderen Schutz brauchen? Nein, darin sieht die Kandidatin keinen Widerspruch. ‚Wir Liberalen wollen, dass der Rechtsstaat klare Rahmenbedingungen und Spielregeln aufstellt.‘ So funktioniere soziale Marktwirtschaft eben am besten, fügt die Kandidatin noch dazu.

Strack-Zimmermann wirbt im OB-Wahlkampf dafür, dass die Stadt 100 Millionen Euro für den kommunalen Wohnungsbau und damit bezahlbare Zwei-Zimmer-Wohnungen ausgibt. Parkbuchten in den Altstadtstraßen will sie dauerhaft für die Gastronomie öffnen. Die Autofahrer könnten ihre Wagen doch in den unterirdischen Parkhäusern abstellen, findet Strack-Zimmermann. Nach einem Werben um die ganz klassische FDP-Klientel klingt auch das nicht. Aber das Programm von Strack-Zimmermann ist eben Strack-Zimmermann. 

Lebenserfahrung statt liberale ‚Boygroup’

1958 wurde Marie-Agnes Jahn im Zentrum der Stadt geboren, sie hat in München Publizistik studiert und über die deutsche Amerikaberichterstattung in der Ära Ronald Reagan promoviert, lange für einen Verlag gearbeitet, ihren Mann, den Verlagsmanager Horst Strack-Zimmermann, beim Feiern in der Düsseldorfer Altstadt kennenglernt, den Sportführerschein auf dem Rhein gemacht, drei Kinder bekommen und im Einfamilienhaus im Stadtteil Gerresheim großgezogen. Über die Lokalpolitik fand sie zur FDP, engagierte sich für Zebrastreifen vor der Kita und bessere Ampelschaltungen. Jugend- und Sozialpolitik waren ihre Themen, auch das nicht unbedingt klassische Profilierungsfelder für eine Liberale. Als die Kinder erwachsen waren, kehrten die Eheleute Strack-Zimmermann in eine Wohnung in die Altstadt zurück.

Vor einigen Jahren dann holte FDP-Chef Christian Lindner, selbst jahrelang Abgeordneter im Landtag in Düsseldorf, die damals bundesweit unbekannte Politikerin ins Parteipräsidium nach Berlin. Der junge FDP-Chef wollte die Partei weiblicher aufstellen, außerdem diverser, nach dem Scheitern der sehr jungen liberalen ‚Boygroup‘ in den Jahren zuvor. Strack-Zimmermann sollte für Lebenserfahrung und auch für die kommunale Verankerung der Partei stehen. Denn sie war von 2008 bis 2014 erste Bürgermeisterin Düsseldorfs, also die Stellvertreterin des damaligen CDU-Amtsinhabers Dirk Elbers. Von der Lokalpresse wurde sie damals wegen ihrer guten Vernetztheit in der Stadt und unangepassten Art als ‚stärkste Frau Düsseldorfs‘ gefeiert.

In diesem Kommunalwahlkampf nun fordert die FDP die CDU heraus, und auch wenn Prognosen schwierig sind: Strack-Zimmermann darf sich Hoffnungen machen, dass sie es zumindest in die Stichwahl schaffen könnte. Anders als Parteichef Christian Lindner, der ein gutes Jahr vor der Bundestagswahl bisweilen verzweifelt nach einem Profil sucht, ist ihr Name in der Düsseldorfer Lokalpolitik allgegenwärtig. In der Innenstadt wimmelt es nur so von Plakaten mit ihrem Konterfei und stets einem flotten Spruch darunter, während Wahlwerbung der CDU kaum zu sehen ist. Stephan Keller, ihr Herausforderer von der CDU, ein seriöser Endvierziger, blieb bislang blass und er hat noch ein anderes Manko: Er arbeitet gerade als Stadtdirektor in der ‚Stadt mit K‘, wie er auf seiner Website mit einem Zwinkersmiley einräumt, also auf der falschen Seite des Rheins. Für manch einen Düsseldorfer ein No-Go.

Law and Order in der Düsseldorfer Altstadt

Um die bürgerliche Klientel in Düsseldorf in diesem Wahlkampf auf ihre Seite zu holen, hat die FDP die Agentur Heimat engagiert, die im Bundestagswahlkampf 2017 schon Parteichef Lindner erfolgreich im weißen Rippenhemdchen vermarktete. 160.000 Euro lässt die FDP sich die professionelle Kampagne kosten, viel für eine Kommunalwahl, bei der die Beteiligung oft sehr niedrig ist. Aber Strack-Zimmermann will ins Gespräch kommen. Ihre Mitbewerber sehen das naturgemäß kritisch: ‚Sie überzieht‘, sagt einer aus dem linken Spektrum, der glaubt, dass der ruhige Wahlkampf des CDU-Kandidaten am Ende erfolgreicher sein könnte.

Strack-Zimmermann kommt als einzige aussichtsreiche Kandidatin gebürtig aus Düsseldorf. Als sie eben mit diesem Alleinstellungsmerkmal warb – Düsseldorf brauche eine Düsseldorferin als Oberbürgermeisterin – wurde ihr das in der Lokalpresse vorgeworfen: So ein seltsamer Geburtspatriotismus passe doch nicht zu einer weltoffenen Stadt. ‚Es ist rheinischer Humor mit Augenzwinkern‘, verteidigt die Kandidatin sich: ‚Es sind nur wenige, die darauf sensibel reagieren.‘

Polarisieren tut Strack-Zimmermann auch mit dem Einsatz für ihr Heimatviertel in Düsseldorf, die Altstadt. Die sogenannte längste Theke der Welt, die ehrwürdigen Brauhäuser und weniger schönen Schnapstheken in den Altstadtgassen mussten zuletzt mehrfach wegen ‚Überfüllung‘ geräumt werden, Anwohner sind genervt. Die Gassen seien ‚nie ein Mädchenpensionat gewesen‘, sagt Strack-Zimmermann, aber seit ein paar Jahren nehme es ‚unerträgliche Formen an‘. Bisher ruhige Seitenstraßen würden an den Wochenenden ‚vollgepinkelt, vollgekotzt, es wird rumgebrüllt und in den Hauseingängen noch so manch anderes getrieben‘. Als Mittel dagegen schlägt sie einen Law-and Order-Kurs vor. 

‚Wir sind nicht die Statisten in einem Freizeitpark’

Strack-Zimmermann findet, es werde zu wenig ausgesprochen, wer da für Unruhe sorge: ‚Überwiegend junge Menschen mit Migrationshintergrund, die oft schon in dritter Generation in NRW leben‘, sagt die FDP-Politikerin: ‚Sie reisen in großen Gruppen und aufgemotzten Autos aus dem Umland an, meist ohne Freundinnen. Es werden harte, oft synthetische Drogen konsumiert und dann geht die Post ab. Rücksichtnahme oder Respekt Fehlanzeige.‘ Doch die linken Parteien weigerten sich, das so offen zu thematisieren. ‚Wir sind feierfreudig, weltoffen und, egal woher die Menschen kommen, gastfreundlich, aber wir sind nicht die Statisten in einem innerstädtischen Freizeitpark.‘

Was also wäre das Sofortprogramm einer Oberbürgermeisterin Strack-Zimmermann? Die Antwort darauf ist etwas vage. Sie sagt, Graffitis müssten sofort übermalt werden, um keine Nachahmer anzuziehen, die Polizei müsse mehr Platzverweise aussprechen, außerdem schon kleine Verstöße ahnden. Die Polizei hat allerdings schon zuletzt die Präsenz ihrer Beamten erhöht. Vor einigen Tagen erst sorgte ein Video auch überregional für Kritik, bei dem ein Polizist einen 15-Jährigen am Boden fixierte. Laut dem Innenministerium lief bei dem Polizeieinsatz alles rechtens. Strack-Zimmermann hat sich bisher zurückgehalten mit einer Bewertung. 

In einem Porträt über sie war in der Zeitung zu lesen, sie sei nicht immer so tief in den Details drin, auch in Düsseldorf erzählt man sich das. Das ficht die Wahlkämpferin nicht an. ‚Natürlich ist auch eine Silberrückin angewiesen auf Fachexpertise und muss daher selbstverständlich auch delegieren können‘, sagt sie und klingt dabei ganz unbeschwert. 

Ihre Stärke ist der direkte Kontakt zu den Leuten, ihre fröhliche und schlagfertige Art. ‚Ich bin halt manchmal laut, politische Gegner finden: ein Schreihals‘, sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann über sich. Ihr Selbstbewusstsein rühre vielleicht daher, dass sie mit zwei älteren Brüdern aufgewachsen sei. Da lerne man, sich durchzusetzen. 

Wahlkampf auf Sylt

Nur bei einem Thema wird sie vorsichtig. Wenn man sie nach dem Zustand der FDP im Bund fragt, deren schlechte Beliebtheitswerte ja auch ihren Wahlkampf im bürgerlichen Düsseldorf verhageln könnten. Christian Lindner hat Strack-Zimmermann gefördert, sie hat ihm ihre Karriere in Berlin zu verdanken. Sie stehe zu Lindner, sagt Strack-Zimmermann: ‚Ohne Wenn und Aber!‘

Als der Thüringer Politiker Thomas Kemmerich sich vor fast einem Jahr von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, gehörte Strack-Zimmermann zu seinen lautesten Kritikern. Viele lasen damals auch eine Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement von Parteichef Lindner heraus. Inzwischen ist die Kandidatin wortarg geworden, wenn man sie zum inhaltlichen Zickzackkurs der Partei fragt, zu den vielen Personalrochaden, dem FDP-Chef, um den es immer einsamer wird. Ihr Fokus liege wahlkampfbedingt auf Düsseldorf, lautet ihre Entschuldigung. Es ist ein freundliches Auf-Distanz-gehen. 

Bei der letzten Bundestagswahl holte Strack-Zimmermann als Direktkandidatin in ihrem Wahlkreis in der Innenstadt 19,8 Prozent der Erststimmen, das deutschlandweit beste FDP-Ergebnis. Auf diese Mobilisierungskraft setzt sie nun auch im Kommunalwahlkampf. Die bürgerlichen Wähler sollen sich für sie als flippige und weibliche Alternative entscheiden. Strack-Zimmermann will in die Stichwahl gegen den SPD-Amtsinhaber Thomas Geisel, dem aber nicht nur sie und die CDU, sondern auch ein grüner Landtagsabgeordneter gefährlich werden könnten. Weil jede Stimme zählt, warb Strack-Zimmermann kürzlich sogar auf Sylt um potenzielle Sympathisanten mit Wohnsitz in Düsseldorf.

Und wenn es nicht klappt mit dem Einzug in die Stichwahl am 13. September? Dann will sie sich wieder für den Bundestag bewerben. Haut auch das nicht hin, wovon Strack-Zimmermann selbstredend nicht ausgeht, dann würde sie vielleicht mit ihrem Motorrad einmal um die Welt fahren, sagt sie. Freiheit im Kopf, die hat sie ihrem Parteichef auf jeden Fall voraus.

Artikel von Lisa Caspari