Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann

INTERVIEW: „Wünsche mir mehr Klarheit und weniger Geschwurbel der Generalität“

Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Archivbild

WELT: Für viele Soldaten sind Sie eine Art Verteidigungsministerin der Herzen. Bedauern Sie es, dass Ihre Partei keinen Wert auf das Ressort gelegt hat, Frau Strack-Zimmermann?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Politik ist kein Wunschkonzert. Es gibt derzeit 736 Abgeordnete im Deutschen Bundestag, die können nicht alle Minister werden. Die FDP führt nun vier Ressorts, die unserer DNA entsprechen und deshalb in unserem Wahlkampf eine zentrale Rolle gespielt haben. Es ist natürlich schade, dass wir in keinem der großen internationalen Ressorts vertreten sind, weder bei Verteidigung noch im Außenamt, noch in der Entwicklungszusammenarbeit. Deshalb freue ich mich sehr, dass ich den Vorsitz des Verteidigungsausschusses übernehmen durfte. Das ist eine Schlüsselposition, um den Ministerien auf die Finger zu schauen.

WELT: Auch der FDP-Vorschlag eines Nationalen Sicherheitsrates, der die internationalen Ressorts besser vernetzt, hat es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft.

Strack-Zimmermann: Wir werden im Parlament dafür sorgen, dass die vernetzte Zusammenarbeit in Zukunft deutlich besser funktioniert. Ich habe zum Beispiel Außenministerin Baerbock in den Verteidigungsausschuss eingeladen, damit sie sich und ihre Agenda mal vorstellt. Ihr Vorgänger Maas war kein einziges Mal in unserem Ausschuss, obwohl das Außenamt federführend für die Mandate der Bundeswehreinsätze zuständig ist. Ich werde auch Entwicklungsministerin Schulze zu uns bitten. Der vernetzte Ansatz ist bislang nach meiner Meinung vor allem ein Papiertiger. Es läuft einfach zu viel parallel – und das geht angesichts der komplexen internationalen Themen so nicht weiter.

WELT: Mit Karl Lauterbach ist in der Corona-Krise ein Mann vom Fach zum Gesundheitsminister ernannt worden. Warum spielt fachliche Expertise für die Führung des Wehrressorts seit Jahrzehnten keine Rolle?

Strack-Zimmermann: Sicherheitspolitische Vorerfahrung ist sicherlich kein Nachteil. Aber es reicht nicht, wenn ich das mal so sagen darf, einmal Soldat gewesen zu sein, da sind schon noch ein paar andere Fähigkeiten erforderlich. Ministerinnen und Minister müssen Häuser führen – und sich nicht vom Haus führen lassen. Das BMVg ist in dieser Hinsicht eine besondere Delikatesse, da gilt es jede einzelne Vorlage mit besonderer Sorgfalt auf ihre Intention und Auswirkung zu hinterfragen. Sie müssen auch einen Instinkt für Politik haben, brauchen Gewicht in der Koalition, ein Ressortchef regiert ja nicht allein. Insofern bin ich optimistisch, dass Christine Lambrecht das gut hinbekommt.

WELT: Sie haben Frau Lambrecht jüngst auf zwei Reisen begleitet. Wie war der erste Eindruck?

Strack-Zimmermann: Sie adaptiert dieses Amt sehr schnell, nimmt sich eine gewisse Beinfreiheit gegenüber ihrer eigenen Fraktion. Sympathisch finde ich, dass sie sich sehr offen zeigt und keine Hemmungen hat, viele Fragen zu stellen. Es gibt im Ministerium jetzt einen neuen Stab an der Spitze, was dem Haus nur gut tun kann.

WELT: Im Koalitionsvertrag heißt es, die laufenden Auslandseinsätze sollten evaluiert werden. Heißt das, sie werden jetzt zunächst einmal alle weitgehend unverändert fortgesetzt?

Strack-Zimmermann: Das Irak-Mandat hat die Regierung ja schon an die Realitäten angepasst. Unsere Tornados zum Beispiel sind schon seit zwei Jahren nicht mehr im Einsatz, so dass der syrische Luftraum nicht mehr berührt wird – letzteres war den Grünen wichtig. Der Fußabdruck, den wir im Irak hinterlassen, ist also deutlich kleiner geworden. Bis zum Mandatsende im Oktober werden wir weiter klären, ob unser Beitrag der Luftbetankung von unseren Nato-Partnern noch benötigt wird, denn diese Aufgabe ist inzwischen prozentual sehr überschaubar.

WELT: Wie wird es in Mali weitergehen? Bereits jetzt ist klar, dass das bisherige Engagement kaum etwas erreicht hat.

Strack-Zimmermann: Mali ist viel komplexer. Wir haben es dort mit einer instabilen Regierung zu tun, die sich an die Macht geputscht hat. Sie will erst in vier Jahre eine Wahl zulassen. Wir haben dort Unruhen zwischen bestimmten Gruppen, und Russland will seinen Einfluss nicht nur über die Söldnertruppe Wagner ausbauen. Die Korruption grassiert, die Islamisten werden stärker. Und unsere Ausbildungsbemühungen zeitigen überschaubaren Erfolg. Andererseits müssen wir uns fragen: Was passiert, wenn wir rausgehen? Dann gibt es ein Vakuum, das andere – allen voran Russland – füllen werden. Was bedeutet ein Abzug für Europa? Werden sich Flüchtlinge auf dem Weg machen, schlimmstenfalls auch Terrorgruppen? Wächst dann der Druck auf Europa? Wir müssen die Lage sorgfältig evaluieren, unsere Ziele klären und dann eine Exit-Strategie formulieren. Das wird nicht in wenigen Wochen gehen.

WELT: Im März wird also erst einmal verlängert?

Strack-Zimmermann: Einige Fragen werden wir dann aufgreifen müssen. Es braucht diplomatischen Druck auf das Militärregime. Wir müssen prüfen, ob die Mandate für EU- und UN-Mission separiert bleiben oder zusammengeführt werden. Es kann natürlich auch nicht sein, dass unsere Soldatinnen und Soldaten quasi an der Seite von russischen Söldnern patrouillieren.

Andererseits dürfen wir uns von Putin nicht vorführen lassen, nach dem Motto: Moskau schickt Söldner, und der Westen macht sich vom Acker. Das wäre ein fatales Signal für andere Weltregionen. Und dann ist da noch die große Frage, wie Frankreich nach den Präsidentschaftswahlen im Mai seinen Einsatz weiter gestaltet. Wir werden dieses Jahr brauchen, um das alles zu sortieren.

WELT: Halten Sie einen robusten EU-Kampfeinsatz unter deutscher Beteiligung für möglich?

Strack-Zimmermann: Das ist nicht unsere Aufgabe, das gibt das Mandat auch nicht her. Wir müssen allerdings darüber reden, inwieweit die Bundeswehr eine an die Lage angepasste Ausrüstung benötigt. Besser geschützte Transportpanzer wie den Boxer zum Beispiel oder den Einsatz bewaffneter Drohnen.

WELT: Wann wird die Bundeswehr denn über bewaffnete Drohnen verfügen?

Strack-Zimmermann: Ich gehe davon aus, dass die Ministerin wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Anschaffung sofort umsetzt. Die jahrzehntelange Debatte über deren Beschaffung war angesichts der Gefahrenlage, in der sich unsere Soldatinnen und Soldaten ausgesetzt sehen, bisweilen bizarr langatmig.

WELT: Vor drei Jahren hat das Ministerium eine Auswahlentscheidung zur Nachfolge der alten Tornado-Kampfjets getroffen. Die wird von Frau Lambrecht nun wieder aufgeschnürt. Wie finden Sie das?

Strack-Zimmermann: Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, die Nachfolge des Tornados in diesem Jahr zu regeln. Ich bin da guter Dinge, Frau Lambrecht hat diese dringend benötigte Anschaffung mit dem Kanzler besprochen und wird natürlich daran gemessen werden, ob sie sich im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin auch durchsetzt.

WELT: Was wäre aus Ihrer Sicht eine sachgerechte Lösung, die sowohl Deutschlands nukleare Teilhabe als auch die Interessen der europäischen Industrie berücksichtigt?

Strack-Zimmermann: Eine europäische Lösung, bei der die Tornados allein durch Eurofighter ersetzt werden, hat industriepolitischen Charme, würde die Zertifizierung für die nukleare Teilhabe seitens der Amerikaner aber erschweren. Deshalb hat der Inspekteur der Luftwaffe eine Mischlösung aus Eurofightern und amerikanischen F-18-Jets vorgeschlagen. Sollte er nun auch die modernere F-35 noch einmal betrachten, würde ich das sehr begrüßen. Die meisten Bündnispartner fliegen dieses System. Ich halte das für eine gute Lösung, wenn wir gleichzeitig den Eurofighter mit Blick auf das deutsch-französische Projekt eines Kampfflugzeugs der Zukunft weiterentwickeln.

WELT: Würden Sie als Ministerin eigentlich an Generalinspekteur Eberhard Zorn festhalten – oder auch auf dem Posten neu starten?

Strack-Zimmermann: Offensichtlich hält die Ministerin an ihm vorerst fest – was nach einem Wachwechsel nicht selbstverständlich ist. Es liegt am Generalinspekteur, daraus jetzt etwas zu machen. Ich persönlich wünsche mir von der Generalität im Ministerium insgesamt deutlich mehr Klarheit und weniger Geschwurbel.

WELT: Die Generäle schwurbeln?

Strack-Zimmermann: Sie legen sich ungern fest. Im Feld geben militärische Führer Befehle, knapp und verständlich. Im Umgang mit der Politik gibt es die Unart, sich 23 Notausgänge offenzuhalten oder der Hausleitung nach dem Mund zu reden. Das ist, mit Verlaub, ziemlich unerträglich.

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir Parlamentarier brauchen neben der politischen Einschätzung des Ministeriums auch einen klaren militärischen Rat, um uns eine Meinung bilden zu können. Ich erwarte unter der neuen politischen Leitung eine neue Kultur der Offenheit, mehr Tacheles in der militärischen Beratung – und eben weniger Herumgeeiere, geprägt von der Angst: Wen könnte ich mit meinen Ausführungen jetzt verärgern, und was bedeutet das für meine Karriere?

Interview von Thorsten Jungholt

Weiteres dazu: